Waldorf nie wieder?

Waldorfkindergarten

Bei narando habe ich mir gerade die Erfahrungen der beiden entgeisterter ehemaliger Waldorfkindergarten- und Fast-Waldorfschul-Eltern Caspar und Susanne Mierau angehört und auch einige der 247 (!) Kommentare durchgelesen, die diese Erfahrungen teilweise bestätigen, teilweise aber auch nicht. Persönlich gehöre ich zu den Letzteren. Meine 3 Kinder haben den Waldorfkindergarten in Peru und Deutschland durchlaufen und gehen momentan in die fünfte, siebte und achte Klasse einer Waldorfschule am Bodensee.

Nach der einleitenden Beschreibung weniger guter Dinge wie der Förderung handwerklichen Geschicks, dem natürlichen Umgang mit dem Wetter und viel Singen geht Caspars Shit Storm dann auch schon los:

  • minutengenaue Durchritualisierung aller Aktivitäten
  • Zwangsmitgliedschaft in zwei Waldorfvereinigungen mit mehreren hundert bis tausend Euro im Jahr Gebühren
  • Geld-verschlingende Instanz mit verklebten Strukturen
  • das einzelne Kind ist egal
  • Kinder haben sich nach Vorgabe zu entwickeln («Rudolf Steiner hat geschrieben»)
  • langes Stillen, Tragen und Familienbett unerwünscht
  • erzwungenes Aufessen am Mittagstisch

Sein Fazit: Geborgenheit im Umgang mit Kindern? Pfui. Bloggen? Widerlich. Und Stalker? Selbst Schuld!

Rudolf Steiner
Rudolf Steiner, «Die Alchemie des Alltags». Eine Vernissage gab in Weil am Rhein Einblick in die Werke des kreativen Genies, Philosoph, Denker sowie Schaffer einzigartiger und facettenreicher Kunst.

Zum Schluss seines Nie-Wieder-Waldorf-Shit-Storms räumt er ein, dass er keine Eltern beleidigen möchte, die ihre Kinder in Waldorf-Einrichtungen geben und es nicht auszuschliessen sei, dass es auch pädagogisch modernere Waldorfeinrichtungen geben könnte.

Ich kann durchaus nachvollziehen, dass grosser Frust entsteht, wenn das eigene Kind eine Zusage für die Einschulung bekommt und dann unerwartet doch keinen Platz findet. Wir sind 2008 mitunter wegen der Waldorfschule aus Lima an den Bodensee gezogen. Wenn unsere Zusage plötzlich widerrufen worden wäre, hätte ich vielleicht einen ähnlichen Artikel wie Caspar geschrieben, da die Waldorfschule in Peru auch etwas Zwanghaftes hatte. Offenbar haben einige Berliner Waldorf-Kitas organisatorisches Optimierungspotential. Dennoch sollte man zwischen Anthroposophie, Erziehertaktiken und einfacher menschlicher Fehler unterscheiden und nicht alles über einen Kamm scheren.

Hier noch einer der Pro-Waldorf-Kommentare aus seinem Blog:

Sehr ausführlich geschilderte „Anekdote“. Das meine ich im Sinne von „gibt es wohl auch“. Ist nach meiner jahrelangen ehrenamtlichen Tätigkeit in der Öffentlichkeitsarbeit einer (auch nur anekdotisch also) Waldorfschule nicht repräsentativ.

Lässt sich auch nicht durch Berichte aus dem Landeselternrat und der Landesarbeitsgemeinschaft der Waldorfschulen in Hessen belegen.

Nicht dass es da keine Probleme gäbe, aber „viel Geld“ gibt es da (leider) nicht. Die staatlichen Zuschüsse sind nicht kostendeckend, weil die Berechnungsgrundlage nicht „sauber“ ist. Das ist ein Problem, aber von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Gesetzliche Zuschüsse von Kreis/Stadt sind gelegentlich noch problematischer.

In unserer Schule werden Finanzplan und Geschäftsbericht immer transparent von Eltern in ehrenamtlicher Arbeit erarbeitet und präsentiert. Da darf (soll) jeder mitmachen.

Zwangsmitgliedschaft in div. Vereinen ist ebenfalls nicht erforderlich. Mitgliedschaft im Förderverein der Schule ist zwar bindend, aber unentgeltlich.

Was die „Ideologie“ betrifft, so kommt es immer auf die Menschen (Lehrer, Eltern) an. An den zwei Waldorfschulen, auf die unsere Kinder gehen, wird weder esoterisches noch rechtes Gedankengut vermittelt. Da bin ich sensibel, da selbst „waldorfkritisch“ und skeptisch Religion und Dogma gegenüber.

An den Schulen, auf die unsere Kinder gehen, gehört Medienkunde (Computer, Soziale Netzwerke usw.) zum Unterrichtsstoff. Das hängt aber – wie gesagt – vom Kollegium ab.

Durch die sehr häufigen Elternabende an Waldorfschulen hat man einen recht guten Draht zu Klassenlehrer bzw. Klassenlehrerin und auch dem Fachkollegium. Da bekommt man rasch mit, welche Ideen sie haben, und man kann sogar über Inhalte diskutieren. Alles recht basisdemokratisch – wie übrigens die gesamte Verwaltung der Schule. Überall arbeiten Eltern mit – sollen sie auch.

Daher also mein Hinweis auf den Einzelfall – sicherlich ausführlich und wahrheitsgemäß beschrieben. Doch das ist nicht „Waldorf“!

Und zum Abschluss noch ein inspirierendes Rudolf Steiner Zitat aus Wien vom 5. Juni 1922.

Willst du dich selbst erkennen,
So suche in den Weltenweiten dich selbst;
Willst du die Welt erkennen,
So dringe in deine eigenen Tiefen.

Deine eigenen Tiefen werden dir
Wie in einem Weltgedächtnis
Die Geheimnisse des Kosmos erschließen.

Update 10.02.2016: In der Sendung SWR2 Tandem hörte ich gerade Sprechen, Reimen, Schreiben: Theodor auf seiner Wunschschule. Theodor ist 9 Jahre alt. SWR2 hatte ihn schon einmal vor drei Jahren für eine Tandem-Sendung begleitet als er in seinem letzten Kindergartenjahr war und gemeinsam mit seinem Vater, dem Sprechdichter und Performance Poeten Timo Brunke, zur Sprachtherapie ging. Inzwischen ist Theodor Schulkind und Almut Schnerring hat ihn einen Tag lang begleitet.

(Beitragsbild: Mein Sohn Keshava im Mai 2009 im Waldolfkindergarten)

5 comments

  1. Mir gefällt, was Du schreibst, insbesondere, da ich den Artikel von Leitmedium pauschalisierend, aber auch manipulierend finde. Für mich klingt das Ganze in erster Linie nach einem fehlenden oder gescheiterten Vertrauensverhältnis zu den Erziehern. Wenn die Details so stimmen, sicher auch begründet. Allerdings kommt mir als ehemaligem Waldorf-Vorstandsmitglied die Details zu den Finanzen recht fragwürdig vor. Nicht zu vergessen übrigens, dass Waldorfschulen weniger staatliche Förderung erhalten und daher Schulgeld nehmen müssen, im Vergleich zu anderen Schulen in privater Trägerschaft sogar zum Teil (ortsabhängig) recht wenig. Komisch auch, dass das Geld zu zahlen, am Anfang nicht störend war. Mich wundert, dass so gebildete Eltern sich so wenig vorher über Waldorfpädagogik informiert haben und ihre Entscheidung von 3 oberflächlich scheinbar guten Dingen abhängig gemacht haben. Ebenso wundert mich das stille Hinnehmen der Geschehnisse im Finanzvorstand. Am allermeisten allerdings wundert mich, dass nach diesem recht fragwürdigem Artikel einige Eltern Waldorfeinrichtungen plötzlich ebenfalls ablehnen. Zu guter Letzt frage ich mich, was sonst man von einer Schule erwartet, die nicht genug freie Plätze hat, als einen Absagebrief oder Zusagebrief? NIcht ernstlich Hilfe bei der Schulsuche? Von wem, von den Eltern in der selbstverwalteten Schule, den Lehrern, von gemischten Gremien? Die Einzugsgebietsschule muss das Kind am Ende ja doch nehmen. Hin oder Her, ich könnte zum Beispiel einen Artikel über positive Erfahrungen an WaldorfKiGa und -schule schreiben und würde viele Menschen begeistern können, genau wie das dargestellte Szenario das Gegenteil bewirkt. Aussagekraft meiner Ansicht nach Null, schon gar nicht als Allgemeinbeispiel dienend, wenn überhaupt so zutreffend. Deinen Artikel finde ich daher ausgesprochen erfrischend und wesentlich sachlicher. Daher danke!

    1. Mierau hat nicht geschrieben, dass er die Geschehnisse im Finanzvorstand stillschweigend hingenommen hätte. Er hat sie verwaltet und «Ich war mehrfach kurz davor, Anzeige zu erstatten – schon allein um mich selbst als Finanzvorstand einer Kita zu schützen.». In die Finanzen bekommt man meist nur Einblick über den Finanzer (wenn der das zB über den Verein bekanntgibt oder an ein Vereinsmitglied auf Anfrage) oder als Finanzer. Offensichtlich hier nur zweiteres.

      «Zu guter Letzt frage ich mich, was sonst man von einer Schule erwartet, die nicht genug freie Plätze hat, als einen Absagebrief oder Zusagebrief?»

      Ganz offensichtlich hat er zumindest das Angebot, bei der Hilfe nach einem anderen Waldorfschulplatz erwartet? Siehe auch den Verweis auf eine andere Familie. Prinzipiell hat er den Absagebrief nicht erwartet, weil seine Familie vorher sogar aufgefordert wurde, sich nicht anderweitig zu bewerben.

      Vielleicht solltest du den fragwürdigen Artikel einfach nochmal querlesen, um deine Fragen zu beantworten. Danach kannst du dich natürlich ranmachen, um deine positive Anekdote zu schildern.

      Die Konsequenzen der direkte Umsetzung von Steiners Ideen wurden Familie Mierau sicher nicht vorher in einem Flugblatt bekanntgegeben. Was lese ich übrigens gerade hier in der Zeitung? Bei der Waldorfschule Überlingen bleiben etwa die Hälfte der Kinder zu Hause, weil keine Masernimmunisierung vorliegt? Wohlstandverwahrlosung.

      1. Danke für deinen Kommentar und die Erlaubnis auch etwas Positives über Waldorf berichten zu dürfen 🙂

        Das Thema Impfung eignet sich auch sehr gut für Kommentarschlachten. Habe gehört, dass einige Kinder in Überlingen die Masern haben, liess aber meinen Siebtklasssohn trotzdem bei der zauberhaften Lyrik mitwirken, obwohl er nicht gegen Masern geimpft ist.

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